Krankt die Gesundheitsversorgung? Wenn Kosten, Ressourcen und Inhalte auseinander driften
Für die Podiumsdiskussion wurden sechs Exponenten eingeladen. Sie wurden gebeten, Stellung zu nehmen zu Vor- und Nachteilen in der aktuellen Gesundheitsversorgung, den Verantwortlichkeiten in Bezug auf die Kostenentwicklung und um Vorschläge zu möglichen Lösungen. Die sachkundige Analyse erfolgte durch einen Experten auf dem Gebiet der Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Prof. Alexander Geissler, Ordinarius an der Hochschule St. Gallen. Vertreten waren die Patientinnen und Patienten mit Herrn René Garo (pensionierter CEO), die ambulante Pflege mit Frau Kuhn-Hopp (Präsidentin kantonaler Spitexverband), die Ärzteschaft mit Frau Cornelia Meier (Präsidentin kantonaler Ärzteverband GAeSO), die Spitäler mit Frau Franziska Berger (CEO Solothurner Spitäler), die Krankenkassen mit Herrn Christian Kilchenmann (Stv. Direktor prio.swiss, früher Santé Swiss) und der Kanton mit Herrn Peter Eberhard (Leiter des kantonalen Gesundheitsamtes). Zusätzlich anwesend waren prominente Teilnehmerinnen und Teilnehmer, so zum Beispiel Frau Regierungsrätin Susanne Schaffner (Vorsteherin des Departementes des Inneren und des Gesundheitsamtes), Frau Luzia Stocker (Präsidentin der Sozial- und Gesundheitskommission) und Herr Thomas Studer (Vizepräsident der Sozial- und Gesundheitskommission).
Die relevanten Themenbereiche, welche während des Anlasses erarbeitet wurden, umfassten die Stärkung der Selbstverantwortung bei den Patienten (Erziehung, pädagogischer Auftrag, Information und gesellschaftlicher Austausch), Umsetzung einer integrativen Versorgung (übergeordnete Koordination der Strukturen), Verhinderung von Fehlanreizen (Ökonomisierung und Silodenken der ambulanten Leistungsanbieter), Definition und Messung der Qualität und Effizienz, Überprüfung einer angemessene Versorgung (Indikatoren), Diskussion über neue Vergütungssysteme und -Modelle (Einheitskasse, Leistungspauschalen, Kopfpauschalen) sowie Klärung der koordinativen Zuständigkeiten von Bund,
Kantone und Gemeinden. Der eingeladene Gesundheitsökonom, Prof. Alexander Geissler, erörterte aus Sicht des Experten das zunehmende Auseinanderdriften von zunehmenden Aufwänden (Überalterung, Technik) und verfügbaren Ressourcen (Kosten, Fachpersonal) als Grund für die sich zuspitzende Versorgungskrise. Zudem klärte er uns darüber auf, dass die schweizerische Gesundheitsversorgung in einer Vergleichsstudie des Commonwealth Fund an drittletzter Stelle von elf untersuchten Ländern erscheint. Landläufig denke man, die Schweiz verfüge über eines der besten Gesundheitssysteme weltweit. Dies sei bei aber nicht der Fall und wird in der genannten Vergleichsstudie objektiviert.
Die Defizite liegen vor allem in hohen administrativen Aufwänden und umständlichen Prozessen, welche das System ineffizient gestalten. Eine Anpassung in den Vergütungssystemen würde daran nicht viel ändern. Vielmehr müssten die Strukturen der Versorgung, die Prozesse und letztlich auch die Versorgungsinhalte auf den Prüfstand. Informationen zu den Inhalten der ambulanten Versorgungen liegen aber in der Schweiz nur rudimentär vor und erschweren eine sachgerechte Analyse. Es sei zudem illusorisch zu denken, dass sich diese Defizite sich selbst regulieren würden, da die übliche ökonomische Rückkopplung von Angebot und Nachfrage durch das «tiers payant» System (Drittzahler) in unserem Gesundheitswesen nicht greifen kann.
Mögliche Lösungsansätze wurden im Podium diskutiert. Der Fokus sollte auf folgende Aspekte gesetzt werden: Stärkung der Selbstverantwortung der BürgerInnen/PatientInnen (Self-Empowerment), Klärung und Vereinheitlichung der Zuständigkeiten und Strukturen in der integrativen Versorgung (Bund, Kantone, Gemeinden, Private Leistungsanbieter), Ausbau eines datenbasierten Versorgungsmanagements (Digitalisierung mit Parametrisierung und Interoperabilität zur Objektivierung der Qualität des Leistungsangebotes und angemessenen Vergütung) und dem Abbau von unnötigen administrativen Hürden. Es bleibt jedoch offen, wer, in welchem Rahmen und mit welchen Mitteln diesen Umbruch in der Gesundheitsversorgung gestalten soll. Ohne koordinierende Mitwirkung der Öffentlichkeit und vor allem der Politik wird die Umsetzung kaum durch die Akteure selbst vollzogen werden können.
Aus meiner Perspektive ist es daher unabdingbar, die Bevölkerung und Politik in diesen Prozess des Wandels miteinzubeziehen. Die Vorlagen müssen den komplexen Gegebenheiten der Gesundheitsversorgung gerecht werden und Bürgerinnen und Bürger sollen bei Abstimmungen die Tragweite von Vorlagen besser verstehen können, um dann auch die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Wir benötigen für die Gesundheitsreform daher eine breit abgestützte, überparteiliche, fundierte aber auch verständliche Sachpolitik, welche sich von Ideologien und Polemik distanziert.